Professor Dr. Peter Steinbach:

Sehr verehrte Frau Becht, sehr geehrter Herr Kappis,

ich freue mich, dass wir uns anlässlich der Karlsruher Vortragsveranstaltung zum Novemberpogrom 1938 kennenlernen konnten und dass ich Ihrer bewegenden Präsentation ergreifender Kompositionen verfemter Komponisten zuhören durfte.

Das bedeutet mir deshalb viel, weil ich bis heute das Gefühl habe, dass die Diffamierung moderner und insbesondere jüdischer Komponisten durch die Nationalsozialisten und die Verächtlichmachung ihrer Kompositionen als „entartete Musik“ nach wie vor unsere musikalische Wahrnehmung bestimmt. Dies steht ganz im Gegensatz zur Wertschätzung moderner Malerei und Plastik, deren Vertreter sich nach der Befreiung vom Nationalsozialismus rasch neuer und großer Wertschätzung erfreuen konnten und das Odium des „entarteten Künstlers“ überwanden.

Musik zu hören verlangt innere Aufgeschlossenheit und Bereitschaft. Diese ist das Ergebnis einer geduldigen Hinführung des Zuhörers durch eine bewusste Erziehung des Gehörs. Sie beide haben sich dieser Aufgabe gestellt, keineswegs nur durch eine Gesinnungsentscheidung, sondern auch durch ein beeindruckendes, überzeugendes Können, das die Zuhörer in Bann schlägt, ihnen die Sinne öffnet und das Gefühl des drohendes Verlustes von Hörfähigkeit durch eine nachwirkende entehrende Kampagne fühlbar macht.

Insofern beeindrucken mich Ihrer beiden Bemühungen, verfemte Komponisten neu vor Auge und Ohr zu rücken, sehr. Sie pflegen deren Werk besonders und leisten so eine wichtige Voraussetzung für die Verwandlung unserer Bereitschaft, uns mit dem Leben und den Leistungen enthauster und entheimateter Komponisten vertraut zu machen, nicht zuletzt auch dazu, dass wir uns mit den in ihren Kompositionen sichtbar werdenden Schreckenserfahrungen zu konfrontieren vermögen.

Musik entsteht aus dem Moment und vergeht im Augenblick. Das ist ihre Besonderheit, ihr Reiz und die Voraussetzung der Emotionalität, die sie weckt. Sie ist deshalb vielleicht die künstlerische Bemühung, die am stärksten auf Präsentation im Sinne einer dem Moment lebenden Vergegenwärtigung zielt.

Durch Ihre Verantwortung für das Werk verfemter Komponisten verbinden sie Zeiten, schlagen Brücken. Gewiss: Keiner der Verfemten und Verfolgten, der Deportierten und Ermordeten ist zum Leben zu erwecken – und dennoch stehen sie durch Ihre ergreifende Präsentation neu auf, im Moment, gleichsam zeitlos.

Ich habe das Gefühl, Sie wirken damit an der Erfüllung des vielleicht letzten Wünschens jener Menschen mit, deren Werk Sie beide sich widmen. Denn diese Künstler hofften, zumindest in ihrem Werk Zeugnis von sich und ihrem Wollen, aber auch Können abzulegen.

Dafür gebührt ihnen mehr als Dank. Denn Sie dienen der Vergangenheit in der Gegenwart und lassen fühlbar werden, was der Tod dieser Menschen auch künstlerisch bedeutete.

Ich selbst bin gern bereit, mit meinen Möglichkeiten für Sie, Ihr Anliegen und Ihr großes musikalisches Leistungsvermögen, zu wirken.

Deshalb haben wir in der Kooperation mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand fest ein Konzert in Berlin verabredet, vermutlich in der Kirche St. Matthäus am Kulturforum.

Ihnen weiterhin den verdienten Erfolg, der verfemten Komponisten, aber auch uns zu Liebe.

Mit freundlichem Gruß

Professor Dr. Peter Steinbach

Universität Karlsruhe (TH) • Institut für Geschichte Karlsruhe

August 2004

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